Eine weltweit anerkannte Methode für erfolgreiches Verhandeln ist das Harvard-Konzept. Ziel dieser Methode ist eine einvernehmliche, konstruktive Einigung und somit ein Win-Win-Ergebnis für die beteiligten Parteien. Das Verhandeln ist also mehr als nur das Durchsetzen eigener Interessen. Verhandeln erfordert vor allem auch Kreativität, um Alternativen und Lösungen zu entwickeln, die Optimierung des gemeinsamen Gewinns erreicht werden. Das Geschehen am Verhandlungstisch ist also durchaus ein kreativer Prozess.

Welche Implikationen hat die Nutzung von Englisch als Fremdsprache auf diesen kreativen Prozess? Dieser Frage ist das Forscherteam um Professor Dr. Robert Wilken, ESCP Business School in Berlin, und Professorin Katrin Mühlfeld, Universität Trier, im Rahmen des Forschungsprojekts CREATE – ET auf den Grund gegangen. Dabei kamen die Forschenden zu überraschenden Ergebnissen. Zunächst scheint sich das Kommunizieren in der Fremdsprache allgemein positiv auf die Kreativität auszuwirken: Das Suchen nach dem passenden Ausdruck fördert das „Um-die-Ecke-Denken“, und die Fehlertoleranz nimmt zu, sobald die Kommunikationspartner die Fremdsprache nicht perfekt beherrschen. Beide Faktoren wirken sich positiv auf den kreativen Prozess aus.

Die Fremdsprachenkenntnisse sind Teil der kreativen Basis, die das Geschehen am Verhandlungstisch beeinflusst. Die Forscher haben verschiedene Verhandlungssituationen unterschieden und jeweils die Rolle des Verkäufers und die des Einkäufers untersucht. Im Vordergrund standen dabei insbesondere das distributive und das integrative, kooperative Verhalten der Verhandlungspartner. Dabei spielten sowohl die allgemeinen Fremdsprachenkenntnisse als auch deren situative Anwendung während der Verhandlung eine wichtige Rolle.

Verkäufer mit besseren allgemeinen Kenntnissen in Englisch als Fremdsprache konnten den eigenen Gewinn erhöhen, und zwar durch weniger integratives Verhalten. Wenn die Verkäufer ihre Sprachfähigkeit während des Verhandelns als besonders gut bezeichnet haben, konnte sich das sogar negativ auswirken – und zwar sowohl auf den eigenen Gewinn als auch auf das kreative Teamergebnis. Grund dafür ist erhöhtes kompetitives Verhalten, das scheint hier also schädlich zu wirken. Interessant ist auch, wie sich allgemeine und situative Fremdsprachenkenntnisse auswirken. Und noch interessanter werden die Ergebnisse, wenn man die Einkäufer betrachtet: Hier verbessert erhöhte situative Fremdsprachenkenntnis beide Ergebnisdimensionen und damit auch die kreative Teamleistung – weil beide Strategien verstärkt und gezielt eingesetzt werden.

Obwohl das Spiel in der Untersuchung symmetrisch angelegt war, legen die bisherigen Ergebnisse Rolleneffekte nahe. „Ich muss mein Produkt verkaufen“ ist die eine Perspektive, „Ich möchte Produkte erwerben“ die andere. Die jeweilige Perspektive scheint wesentlich dazu beizutragen, wie sich Fremdsprachenkenntnisse in kreativen Prozessen entfalten, wenn es um das Lösen von Aufgaben mit gemischten Motiven (individuelle bzw. egoistische auf der einen und gemeinsame auf der anderen Seite) geht. Für die Praxis sind also nicht nur sehr gute Fremdsprachenkenntnisse von Bedeutung, sondern insbesondere das Wissen um geeignete kontextspezifische Anwendung.

Über Create – ET
In der Arbeitswelt entwickelt sich die menschliche Kreativität immer mehr zur wichtigen Schlüsselkompetenz. Besonders im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung leistet Kreativität einen erheblichen Beitrag zur langfristigen Erfolgssicherung von Organisationen.  Kreativität, als Vorstufe von Innovationsfähigkeit, verhilft Organisationen dazu, sich Veränderungen flexibel anzupassen und Wandel proaktiv einzuleiten. Das Projekt CREATE-ET ist genau an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Globalisierung angesiedelt. Digitalisierung (und damit zunehmend auch Automatisierung) bedingt, dass (nicht automatisierbare) menschliche Kreativität für die Arbeitswelt der Zukunft insbesondere hinsichtlich der Innovationsfähigkeit von Gesellschaften immer wichtiger wird. Kreativität in modernen Organisationen der Wirtschaft, Forschung und Bildung vollzieht sich dabei zumeist in Teams. Globalisierung führt dazu, dass diese Teams immer häufiger multikulturell (speziell: multinational und multilingual) besetzt sind: Eine steigende Zahl von Menschen kommuniziert in ihrem Arbeitsalltag zunehmend in einer für sie ursprünglich fremden Sprache, oft Englisch.
Die Daten für das Projekt wurden in verschiedenen Kontexten und Situationen erhoben, insgesamt sind 7.200 Minuten Experimentaldaten, rund 820 Minuten Interviewdaten, Daten von mehr als 220 Verhandlungen mit mehr als 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (mit und ohne Berufserfahrung) sowie über 10.000 Zeilen Chat-Protokolle der Verhandlungen mit einer Gesamtdauer von etwa 200 Stunden in die Untersuchungen eingeflossen. In den Verhandlungssituation trafen Personen aus 40 verschiedenen Nationalitäten aufeinander.

 

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